Späte Rache an O. J. Simpson? Von Uwe Schmitt 6. Oktober 2008, 02:12 Uhr Nach dem Freispruch im Mordprozess vor 13 Jahren droht dem Ex-Footballstar lebenslange Haft - wegen eines Überfalls Washington - Verschwörungstheoretiker sind süchtig nach solchem Stoff: 13 Jahre auf den Tag nach O. J. Simpsons Freispruch von der Anklage des Mordes durch eine überwiegend schwarze Jury sprechen weiße Geschworene in Las Vegas den einstigen Footballstar nach 13 Prozesstagen und 13 Stunden Beratung in zwölf Anklagepunkten, darunter Entführung und bewaffneter Raub am 13. September 2007, für schuldig. Der nie erhobene 13. Anklagepunkt, glauben O. J.s Anwälte, gab den Ausschlag: die Vermutung eines Fehlurteils am 3. Oktober 1995.
Das Volk habe sich in Selbstjustiz an O. J. Simpson gerächt, sagen sie und kündigen Berufung an. Das Volk habe spät, nicht zu spät Gerechtigkeit geübt, meinen die anderen. Simpson (61) und einem Komplizen, die im Stadtgefängnis von Las Vegas ohne Kaution auf die Festsetzung des Strafmaßes am 5. Dezember warten, drohen 15 Jahre bis lebenslange Haft. Das Erstaunlichste: Kaum jemanden scheint das Schicksal O. J. Simpsons mehr zu scheren. Seine Schwester sank bei der Urteilsverkündung in Ohnmacht, seine Freundin stöhnte auf. Amerika aber verlor keinen Schlaf. "Timed out" kommentierte Richterin Jackie Glass, als die Lichter im Gerichtssaal um 23 Uhr automatisch Strom sparend erloschen und Gerichtsdiener mit Taschenlampen herumfuchtelten. Sie beschrieb zugleich die aus der Zeit gefallene einstige Nummer 32 der Buffalo Bills, den zwei Generationen junger Amerikaner nur als drittklassigen Schauspieler ("Nackte Kanone") und Paria-Prominenten kennen.
Damals, als der über neun Monate als Reality-Fernsehshow inszenierte Mordprozess endete, säumten O. J.s Fans die Straßen von Los Angeles und feierten, was sie für den Sieg eines unschuldigen schwarzen Mannes über den Lynchmob hielten. In Las Vegas wurde kein einziger Black-Power-Demonstrant gesichtet; der Gerichtssaal blieb während der vier Prozesswochen halb leer.
Nach Erkenntnissen des Gerichts drang O. J. Simpson zusammen mit fünf Männern am 13. September 2007 in ein Hotelzimmer in Las Vegas ein, wo zwei Händler mit O. J.-Memorabilien auf einen Kunden warteten. Mindestens zwei Mitglieder von O. J.s Überfallkommando trugen Revolver, alle verfügten über beachtliche Vorstrafen. Ein Tonband, das die (ebenfalls polizeibekannten) Opfer in dem Zimmer laufen ließen, wurde zum Hauptbelastungszeugen des Prozesses. O. J. war deutlich mit dem Befehl "Keiner verlässt dieses Zimmer!" zu vernehmen, was den Tatbestand der Freiheitsberaubung erfüllt. Mitverschwörer sagten, und sei es nur, um ihren eigenen Hals zu retten, er habe angeordnet, Waffen mitzubringen, "to bring the heat".
Clarence "C. J." Stewart (54), Mitangeklagter O.J.s, wurde ebenfalls belastet. Seine Anwälte sehen gute Chancen, eine Wiederaufnahme seines Verfahrens zu erwirken. Begründung: Wer mit O. J. vor Gericht steht, bekomme kein faires Verfahren. Er vermeide das Wort Rache ("payback"), erklärte Yale Galanter, einer von Simpsons Anwälten, aber er habe sich von Anfang an gefragt, ob die 500 Kandidaten für die Jury ihre "sehr starken Gefühle" gegenüber dem Angeklagten kontrollieren könnten. Die neun Frauen und drei Männer, die es auf sich nahmen, fühlten sich nach Beobachtung von Gerichtsreportern bei der Urteilsbegründung sichtlich unwohl. Die Sorge, Ziel eines Medienzirkus zu werden wie die Geschworenen 1995 nach Ende des Jahrhundertprozesses, erwirkte offenbar eine Übereinkunft der zwölf, nicht mit den Medien zu sprechen. Zunächst einmal.
O. J.s Restprominenz auszupressen gegen Geld gelang den Opfern seines Überfalls. Sie verkauften das Tonband für über 200 000 Dollar an die US-Klatschmedien, bevor sie es, eine Woche nach der Tat, der Polizei übergaben. Viele parasitäre Begleiter O. J.s trugen Aufnahmegeräte mit sich, um aus seinen Eskapaden Kapital schlagen zu können. Damit ist es vorbei. Simpson blieb nach seinem Freispruch für Amerikaner, die auf ihren Ruf bedacht waren, ein Unberührbarer. In einem Zivilprozess 1997 verurteilt, 33,5 Millionen Dollar Schadensersatz zu zahlen (was er nie tat), musste er am Ende O. J.-Andenken verkaufen. Jetzt, im Gefängnis, könnte ihr Marktwert wieder steigen.